12 - Die verbale Kommunikation - Dritter Teil
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Kommen wir nun zu den anderen drei Polen des Kommunikationsschemas und den drei entsprechenden Funktionen:
- Message
bzw. Botschaft oder Aussage (poetische Funktion)
- Kontakt (phatische Funktion)
- Code (metalinguistische Funktion)
Die Faktoren der verbalen Kommunikation 1:
CONTEXT |
ADDRESSER ----------- MESSAGE ----------- ADDRESSEE |
CONTACT |
CODE |
und die sechs grundlegenden Funktionen der verbalen Kommunikation 2:
REFERENTIAL |
EMOTIVE ----------- POETIC ----------- CONATIVE |
PHATIC |
METALINGUAL |
Die poetische Funktion
In der vorhergehenden Einheit wurde gezeigt, wie die Textaussage über Selektion (paradigmatische Achse) und Kombination (syntagmatische Achse) zustande kommt. Laut Jakobson überträgt die «... poetische Funktion [...] das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination3. Äquivalenz wird zum bestimmenden Mittel einer Sequenz» (deutsch zitiert nach Eicher/Wiemann: Arbeitsbuch Literaturwissenschaft, Anm. d. Übers.). Die Prinzipien der syntaktischen Konstruktion, d.h. die "Satzbauregeln", welche bestimmten Verknüpfungen im Wege stehen würden, können also, um es einfacher auszudrücken, in der Dichtung übergangen werden. Dabei erfolgt die syntagmatische Konstruktion (die Verskomposition) unter Rückgriff auf das paradigmatische Repertoire:
Chi mai grida in Crimea |
dai crinali violacei? |
Quale ardente chimera |
incrimina la pace? |
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Lacrime di Crimea! |
La chimera dilegua |
oltre le creste cremisi |
col grido della tregua. |
In der Kombination der «creste cremisi» (karminrote Kämme) findet sich ein Beispiel für zwei Wörter, «creste» und «cremisi», deren Nähe eher durch paradigmatische als durch syntagmatische Aspekte bedingt ist (ihre Wahl erklärt sich vorrangig durch den Wortanfang mit der mit der akzentuierten Silbe «cre»). Die Wiederholung der Silbe «cri» - ebenso wie ihr Ausbleiben, wenn sich mittlerweile die Erwartung aufgebaut hat, dass ein drittes «cri» folgen wird (denn in «chimera» könnte der vorgezogene «r»-Laut den unaufmerksamen Leser dazu verleiten, stattdessen erneut «chrimea» lesen und in «crinali» wäre man fast versucht, stattdessen «crimali» auszusprechen) - ist einer der vielen Fäden dieses poetischen Diskurses, der jenseits syntagmatischer Erwägungen gesponnen wird. Die Poetik bezieht ihre Kraft aus Kollokation, Metrik, Paronomasie, Umstellung, Permutation, (echten und scheinbaren) Parallelismen. Wenn man versuchte dieses Gedicht in Prosa umzuformen, würde man unweigerlich über all das stolpern, was nicht im Vordergrund steht.
Dies veranschaulicht, in welchem Maße die poetische Funktion auf die "Botschaft" fokussiert ist: Die Aussage wird wichtig an sich, fast löst sie sich von den anderen Polen der Kommunikation.
Auch in Prosatexten kann die poetische Funktion ihre Relevanz haben. In diesen Texten ist die poetische Funktion zwar nicht dominant, kann aber durch die Schichten der anderen Funktionen, die hier eine wichtigere Rolle spielen, wahrgenommen werden. Dazu ein Zitat von Jakobsón, aus dem Text, mit dem wir uns beschäftigen.
«[...] in metalanguage the sequence is used to build an equation, whereas in poetry the equation is used to build a sequence» 4 (auf Deutsch: [...] in der Metasprache wird eine Sequenz verwendet, um eine Gleichung aufzubauen, in der Poesie hingegen werden Gleichungen zum Aufbau einer Sequenz verwendet) Wir sehen hier eine parallele Konstruktion der beiden Sätze, die durch «whereas» getrennt sind, mit einer chiasmatischen Überkreuzung von «sequence» und «equation». Parallelismus und Chiasmus fallen in den Bereich der poetischen Funktion, auch innerhalb eines Essays - wo der poetische Wert eine entschiedenen sekundäre Bedeutung hat.
Die phatische Funktion
Einige Kommunikationshandlungen sind von randständiger Bedeutung für die BOTSCHAFT, die in oben abgebildeten Schema eine zentrale Position einnimmt: Es handelt sich um Äußerungen, die eine soziale Funktion erfüllen und - um es mit Malinovski (The problems of meaning in primitive languages, 1923) zu sagen - primär der Bestätigung von "Banden der Gemeinsamkeit" dienen. Dazu gehört Floskeln zur Einleitung oder Aufrechterhaltung einer telefonischen Unterhaltung, wie: «Hallo, hören Sie mich?» oder «Sind Sie noch am Apparat?» In dieselbe Kategorie fallen die typischen Bemerkungen, die man im Fahrstuhl fallen lässt, wo der Kontakt zum Selbstzweck wird und die Funktion hat, das peinliche Schweigen in Gegenwart eines Unbekannten zu überbrücken. So sind Fragen zum Wetter wie: «Schöner Tag heute, nicht wahr?» im Grunde nur Kommunikationsangebote. «Gestern war es nicht so windig» könnte eine Antwort sein, welche die grundsätzliche Bereitschaft zu irgendeinem Kontakt signalisiert.
Im Übrigen stammt «phatisch» von dem altgriechischen Wort phatikós ab, auf Deutsch hieße das in etwa: «was gesagt werden kann».
Laut Jakobsón eignen sich Kinder, noch bevor sie im eigentlichen Sinne sprechen lernen, die Fähigkeit zur Nutzung der phatischen Funktion an. Sie begreifen, dass jemand darauf reagiert, wenn sie Laute oder Silben von sich geben. Es antwortet jemand und interpretiert laut, was er gehört hat, oder nimmt schlicht einen Blickkontakt auf. So wird das Kind veranlasst, gezielt Laute von sich zu geben, um einen Kontakt herzustellen (präverbale Kommunikation).
Die metasprachliche Funktion
Wenn Sprache zur Kommunikation über die Sprache selbst (Code) eingesetzt wird, findet eine metalinguistische oder metasprachliche Kommunikation statt. Dies zeigt sich schon in einfachen Fragen wie: «Was sagst du da? Sprichst du Deutsch?».
Ein weiteres Beispiel sind Worterklärungen. In diesem Fall handelt es sich um Autonymie, d.h. um Worte, welche nicht auf ihre Bedeutungen, sondern auf sich selbst als Bedeutungsträger verweisen:
Die «metalinguistische Funktion» ist gleichbedeutend mit der «metasprachlichen Funktion» und beinhaltet Beschreibungen der natürlichen Sprache (Code) oder Reflexionen über diese (Sprachbewusstsein). |
Die Definition in oben stehendem Beispiel ist für Empfänger formuliert, von denen angenommen wird, dass sie die Bedeutung des Begriffs «metalinguistische Funktion» nicht kennen. Es wird daher eine Erklärung angeboten, wobei diese nur auf den Bedeutungsträger und nicht auf dessen Bedeutung verweisen kann, da man ja annimmt, dass diese dem Leser unbekannt sei.
Bibliographie
JAKOBSÓN R. Essais de linguistique générale.
2. Band, Rapports internes et externes du langage. Paris. Les Editions de Minuit, 1973.
JAKOBSÓN R. Concluding statement: Linguistics and poetics. In Style in language.
herausgegeben von T. Sebeok, S. 350-377. New York, Wiley, 1960. Dt.: Linguistik und Poetik. In: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Hrsg. von Jens Ihwe. Bd. II/1. Frankfurt a. M. 1971, S. 143-178.
JAKOBSÓN R. Poetica e poesia. Questioni di teoria e analisi testuali.
Introduzione di R. Picchio. Traduzioni di G. L. Bravo, R. Buzzo Margari, M. Contini, L. Fontana, C. Graziadei, M. Lenzi. Torino, Einaudi, 1985. ISBN 88-06-57489-2.
JAKOBSÓN R. Poetik: Ausgewählte Aufsätze 1921 - 1971, hg. von Elmar Holenstein & Tarcisius Schelbert, Frankfurt: Suhrkamp, 1979.
JAKOBSÓN R. Saggi di linguistica generale.
A cura di L. Heilmann. Trad. di L. Heilmann e L. Grassi. Milano, Feltrinelli, 1966. 5a edizione, 1994, ISBN 88-07-10047-9.
JAKOBSÓN R. Two Aspects of Language. In Language in Literature.
A cura di K. Pomorska e S. Rudy, p. 95-114. Cambridge (Massachusetts), Harvard University Press, 1987. Italienische Übersetzung in Jakobsón 1966, S. 22-45.
Malinovski The problems of meaning in primitive languages, 1923
SCIALOJA T. La mela di Amleto.
Mailand, Garzanti, 1984.
1 Jakobsón 1987, S. 66. Jakobsón 1966, S. 185.
2 Jakobsón 1987, S. 71. Jakobsón 1966, S. 191.
3 Jakobsón 1987, S. 71.
4 Jakobsón 1987, S. 71.
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